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AUS! Das Leben nach dem Spiel
Was passiert mit Fußballprofis nach der Karriere? Das Badische Staatstheater interviewte Ex- Profis des KSC und fand Depressive, Alkoholkranke und Spielsüchtige. Die traurigen Biografien wurden Teil eines beeindruckenden Stückes, das nun Premiere feierte. »Super«. Das Wort fällt so oft, dass schon nach wenigen Sekunden ein Verdacht aufkeimt. Und tatsächlich sind die drei Männer, die sich stolz in den Hüften wiegen, arm dran. Man hat ihnen die Adrenalin-Zufuhr gekappt, und nun dümpeln sie vor sich hin. Der Sparkassen-Filialleiter, der Finanzberater und der Betreiber eines Sportartikel-Geschäfts, das - wir ahnen es - »super« läuft. Ehemalige Fußballprofis sind die drei Männer, und nichts würden sie lieber tun, als wieder zu spielen. Als die Helden des allwöchentlichen Stückes Profifußball, das in 90 Minuten über Sieg oder Niederlage entscheidet. Helden, die von der Tribüne aus bestaunt und bejubelt werden. Bald wird die bürgerliche Fassade als Mimikry entzaubert, die Anzüge bleiben als Zwangs-Jacken in der Requisite, blau-weiße Trikots werden stattdessen übergezogen. Und immer wieder läuft Michel zu dem dicken roten Knopf am Bühnenrand. Er drückt ihn, lauter Stadionjubel erschallt. Auf die Ex-Kicker prasselt er herab wie warmer Sommerregen. (...) Hier auf der Bühne stellt Gunny die Frage, die viele fast zerreißt, denen ein Kreuzbandriss oder ein jüngerer Konkurrent das Karriereende brachte. »Wohin mit dem Ehrgeiz, mit dem Selbst-Quälen?« Genau das wollte Rausch erfahren. (...) Die Schauspieler Gunnar Schmidt, Michel Brandt, Klaus Cofalka-Adami und Florentine Krafft bestreiten das 90-Minuten-Stück einfühlsam und durchaus mit Witz. (Christoph Ruf/Spiegel Online, 08.10.2013) Was machen Fußballer, die nicht mehr allwöchentlich in der Bundesliga antreten? Die werden ja nicht alle Trainer, Sportdirektor oder TV-Experte. Sondern sitzen auch mal im Warteraum beim Arbeitsamt und fühlen sich von allen angestarrt. Oder ziehen in ihren Heimatort zurück und finden keinen Anschluss mehr. Stellen bei der Umschulung auf einen neuen Job fest, dass ihr Körper nicht fürs Sitzen, Zuhören und Aufschreiben gemacht ist. Oder dass ihr ganzes Leben von Ehrgeiz bestimmt war, für den sie jetzt kein Ventil mehr finden. Und vor allem: Dass es nichts gibt, was dem Gefühl gleichkommt, von 30 000 Leuten gefeiert zu werden. Für das Bühnenstück »Aus - Das Leben nach dem Spiel« im Studio des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, hat Regisseur Tobias Rausch, ein bundesweit gefragter Fachmann für Recherche-Projekte, einen collagehaften Text erstellt, der auf über 70 Interviews mit 57 Personen beruht. Das Recherche-Team sprach mit ehemaligen KSC-Spielern, aber auch mit Trainern, Spielerfrauen und Fans. Die Aussagen wurden anonymisiert und verdichtet, schließlich geht es hier nicht um Anekdoten und Legenden (auch wenn Valencia auf wunderbar beiläufige Weise vorkommt). (...) Tobias Rausch macht daraus keine Betroffenheits-Dokumentation, sondern lustvoll verspieltes Theater mit vier bestens aufgelegten Darstellern, die sowohl mannschaftsdienlich aufspielen als auch souveräne Alleingänge zeigen: Michel Brandt berichtet unter anderem als Auswechselspieler davon, wie das Nichtspielen der Normalzustand und der Einsatz die Ausnahme ist, oder wie man als gerade noch unverzichtbarer Vorsänger der Ultras durch Stadionverbot ins Abseits geraten kann. Gunnar Schmidt liefert mit der gespenstisch gezwungenen Heiterkeit eines Beinahe-Selbstmörders die wohl intensivsten Minuten des Abends, Ensemble-Neuzugang Florentine Krafft zeichnet einen Karriereweg vom Anfang bis zur Ausmusterung nach, bei dem anklingt, wie unterschiedlich die Hackordnungen in unterschiedlichen Vereinen (und Karrierephasen) sind. Und Klaus Cofalka-Adami ist quasi der Stürmer, der jede Vorlage verwandelt (...) und landet mit jedem Auftritt einen Treffer, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Gelungen ist auch das Bühnenbild von Jelena Nagorni: Als Sinnbild für die aufgeheizte Stadionatmosphäre steht hier eine Wand aus Lautsprechern, die sich nach Bedarf in profane Alltagsgegenstände verwandeln - Waschmaschinen, Toiletten oder Spielautomaten, an denen ein einstiger Torjäger vergeblich den Endorphin-Kick sucht, den er einst auf dem Platz hatte. »Aus« erzählt von persönlichen Dramen rund um den Fußball, ohne die begeisternde Energie dieses Spiels zu verleugnen. Ein Tipp für all jene Theater- und Stadiongänger, die nicht nur das sehen wollen, was sie eh schon kennen. (Andreas Jüttner/Badische Neueste Nachrichten, 08.10.2013) Im Gegensatz zu den Alltagsrechercheuren von Rimini Protokoll besetzen die lunatiks ihre Theaterabende nicht mit denen, um die es geht. Ihr Recherchematerial wird, wie das jetzt auch Tobias Rausch gemacht hat, zu einem veritablen Theaterstück verdichtet und von Schauspielern gespielt. (...) Die Uraufführung beschäftigt sich mit der nicht so hell beleuchteten Seite des Profifußballs. Die Darsteller spielen vor allem den Schmerz des waidwunden Fußballers, der während seiner Profikarriere verhätschelt wird und nach dem Karriereknick ins Leben stolpert. Inzwischen droht das Aus ja schon mit Mitte Zwanzig. Spätestens dann sollte der Jungprofi sich nach den unzähligen Muskelfaserrissen fragen, wie das mit ihm weitergehen könnte. Um an die zum Teil berührenden und auch überraschenden Geschichten zu kommen, wurde ausgiebig recherchiert. (...) Am Ende wurden 3000 Materialseiten in 50 Seiten Theatertext eingedampft. Auf der Bühne geht es um Ex-Profis, die inzwischen eine Sparkassen-Filiale oder eine Kunst-Galerie leiten. Wie viel Herzblut und Dramatik in so einem ausgeträumten Fußballerleben stecken kann, zeigen die vier KSC-Spieler vom Theater immer wieder. Dummerweise gehört Tobias Rausch aber zu den Projektmachern, die ihren Schaupsielern jene inzwischen so weit verbreitete und frontal zum Publikum hin agierende Aufsagetechnik verordnen, in der Sprache zu Performancematerial wird. Manchmal ist das ganz gut, wenn nicht viel im Text steckt. In Karlsruhe aber wäre wesentlich mehr emphatisches Schauspielertheater möglich gewesen. (Jürgen Berger/Die Rheinpfalz, 08.10.2013) |