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TAUSEND SONNEN
Vier Männer und zwei Frauen, deren Geschichten auf verschiedene Weise mit der Wismut - dem Unternehmen für Uran-Förderung in der DDR für das sowjetische Atomprogramm - verbunden sind, agieren mit Elan und Spielfreude in grell gelben Arbeitsanzügen. [...] Romantisch verklärte, traurige, ernste, nachdenkliche und komische Szenen zum Alltag der Bergleute und persönliche Erinnerungen der Akteure fließen eindrucksvoll und spannend zusammen in dieser Inszenierung von Tobias Rausch, dem Bürgerbühnenleiter. [...] Da prallen Ideale, Illusionen, Widersprüche heftig aufeinander, bei der gemeinsamen Annäherung an die Wahrheit. Schönes wie Schmerzliches verbinden die Wismuter bis heute (Lilli Vostry/Morgenpost, 28.11.2022) Plötzlich arbeiten sich zwei Gestalten durch die Grubenwand aus Pappe, Kakerlaken sind das, die uns, die Menschheit, überlebt haben. Sie melden sich aus der Zukunft »4 Mio. Jahre plus« und forschen in der menschlichen Vergangenheit, unserer Gegenwart, der Wismut-Geschichte, die dann Stück für Stück, episodenhaft in spielerischen Szenen nacherzählt wird. Eine gute Idee, ein großartiger Text, der Historie in all ihren Facetten nacherlebbar macht, dabei ohne Wichtigtuerei und Zeigefinger auskommt und das Thema nicht nur rückwärts aufarbeitet, wenn es etwa darum geht zu hinterfragen, was die scheinbar günstige zivile Nutzung der Atomkraft denn alles so für Ewigkeitskosten anhäuft, die in keiner betriebswirtschaftlichen Rechnung der Gegenwart auftauchen. Oder wenn das alte Pro-Wismut-Argument »Wir haben doch für den Weltfrieden gearbeitet,« mit dem Hinweis gekontert wird, dass in genau denjenigen russischen Atomraketen, die nicht nur auf die Ukraine, sondern auch auf uns gerichtet sind, das alte Uran aus dem Erzgebirge steckt. Merke: da steckt viel Sprengstoff drin! [...] Es waren meine schönsten Jahre, sagt am Schluss einer, und alle singen das Steigerlied, trotzig-traurig und uns ziemlich nachdenklich machend. (Wolfgang Schilling, MDR Kultur, 28.11.2022) Die Widersprüche wollen nicht aufgeklärt werden, dafür soll alles zur Sprache kommen. Indem die Spielenden mal sie selbst sind, dann in andere Rollen schlüpfen, gelingt es ihnen, ein umfassendes Bild zu erzeugen. Es werden gleichrangige Perspektiven auf die Wismut sichtbar, die in ihrer Fülle fast zu erschlagen drohen, aber alle ihre Berechtigung haben. Der leise Singsang der sächsischen Mundart und die Kenntnis jedes berichteten Details machen die Darstellung überzeugend. Hier darf man wirklich von den viel strapazierten »Experten des Alltags« sprechen. [...] Das Publikum wohnt einem persönlich berührendem, dichtem Abend bei, wenn Sediment um Sediment jenseits der Verklärung freigelegt wird. Pötzlich ist »Tausend Sonnen« voller Brisanz, wenn man erfährt, dass nach der Katastrophe von Tschernobyl Wismut-Uran über Europa wehte. Oder dass mit den Bergbaufolgeschäden und vergifteten Schichten noch eine Zeitbombe unter der Gegend lauert. Und dass die Atomwaffen, mit denen Putin derzeit droht, Uran aus dem Erzgebirge enthalten. (Tobias Prüwer/Die Deutsche Bühne, 06.12.2022) »Beim Komplex Wismut kreuzen sich Geschichten und Geschichte, persönliche wie weltpolitische, regionale wie globale. Das reizte uns an dem Vorhaben,« sagt Bürgerbühnenchef Tobias Rausch. Und gibt zu: »Das Thema ist so umfangreich, jeder hat andere Erinnerungen, jedes Wort kommt auf die Goldwaage - da kann man eigentlich nur scheitern.« Nun, das Buch zum Stück liest sich nicht nach Scheitern, eher erstaunt, wie viele Facetten beleuchtet werden. [...] Entsprechend geht es in TAUSEND SONNEN - so grell soll die erste Atombombe in der kasachischen Steppe geleuchtet haben - um harte Arbeit unter Tage und gesundheitliche Risiken, um schroffe Töne und um den Zusammenhalt. Auch die Privilegien der Wismut, die die Region zu einer Zweiklassengesellschaft machte, werden benannt. Es geht um geheime Verschlusssachen und die milliardenschwere Sanierung und Renaturierung. (Bernd Klempnow/Sächsische Zeitung, 25.11.2022) Sechs Zeitzeugen, drei aus dem Dresdner Raum und drei aus der Chemnitzer Region erzählen ihre persönliche Story, angereichert um Spielszenen und Recherchen, immer in der Ambivalenz zwischen sozialistischen Einschränkungen und der Einsicht in die Notwendigkeit, also der Kraft des Faktischen. Aber es wird auch über die Zerstörung von Innenstädten und Landschaften sowie der menschlich originären Lust am großen Geldverdienen und besser Dastehen als die anderen Gleichen in der Republik geklönt. [...] So hat Heinz Richter, der erst den Kumpeltodvertrieb managte, später der hauseigenen Kriminalpolizei angehörte, viel beizutragen, die Dialoge zwischen dem kraftvollen Hauer Sven Sczibilanski und dem Kühlanlagenverantwortlichen Alexander Borck sind spannend und konfliktbeladen. Silvia Weißbach, für die lyrischen Momente zuständig, untersuchte geologische Gesteinsproben, deren geografische Zuordnung streng geheim blieb. Sie sah ihre gezeichneten Karten nie wieder. Kai-Uwe Ulrich, einziger Westdeutscher im Bunde, erzählt von seinen Rossendorfer Forschungen zugunsten der Altlastenrisikovermeidung, denn unter Königstein wurde das Uranerz quasi gefrackt, was bei vollständiger Flutung dereinst nicht unproblematisch für Grund- wie Elbwasser werden könnte. [...] Unterhaltsam wird es bei den in sich geschlossenen Spielszenen, wie die Abfahrt in verschiedene Tiefen des Gesteins, kombiniert mit markanten Stationen der Bergbaugeschichte. Denn die historische Verortung der einzelnen Berggeschreye, wobei nach dem dritten (jenes der Wismut) nun alsbald das vierte (seltene Erden) an dieser geologischen Bruchkante droht, ist nicht unwichtig. (Andreas Herrmann/DNN, 29.11.2022) Zwei Stunden spannende Zeitgeschichte, über die man noch viel diskutieren sollte. (Sibylle Muth/MDR Sachsenspiegel, 26.11.2022) Schon die Spielaufstellung ist erfrischend. In der Inszenierung von Tobias Rausch wird nämlich nicht über die Betroffenen, die Menschen, deren Leben von der Wismut betroffen war und ist, gesprochen - sondern sie dürfen sich selbst äußern. [...] Alle sechs Laienspieler sind also vom Fach, spielen sich selbst, schlüpfen aber immer wieder in andere Rollen. Erzählt wird in kleinen Szenen nichts weniger als eine Geschichte der SDAG Wismut, des Bergbauunternehmens, inklusive der Auswirkungen auf das Leben der Mitarbeitenden, der Menschen in den Abbau-Regionen, der Folgen für die Zukunft und wie es überhaupt dazu kam, dass Uran in Mitteldeutschland abgebaut wurde. Spoiler: Die Geschichte beginnt im frühen Mittelalter. [...] Das Ensemble ist zwar inhaltlich vom Fach, musste aber ermächtigt werden, von der eigenen Geschichte und der der anderen mit theatralen Mitteln zu erzählen. Dafür zeigte sich Regisseur Tobias Rausch zuständig, zu dessen besonderen Talenten es gehört, in seinen Inszenierungen auch Laien Gestaltungsraum für die Bühne zu geben, sie wertschätzend in Szene zu setzen. Das Resultat: Durch die Verquickung von Lebensgeschichten mit Zeitgeschichte, die Einbettung in einen gesellschaftlichen und historischen Kontext, wird das Thema nahbar und vermittelbar. Der Wechsel der Ebenen schafft es auch, sich einer Bewertung zu entziehen. Es werden Facetten aufgezeigt, die es dem Publikum selbst überlassen, Schlüsse daraus zu ziehen - gibt aber eben dafür das nötige inhaltliche und argumentative Rüstzeug in die Hand. (Sarah Hofmann/Freie Presse, 06.12.2022) |